Geschäftszeichen: - II 3 - Ausschussvorlage/INA/19/16 Dst. Nr. 0005 Bearbeiter Martin Rößler Durchwahl (06 11) 353 1696 Telefax: (06 11) 353 1343 Email: Martin.Roessler@hmdis.hessen.de Ihr Zeichen Ihre Nachricht Datum 16. Februar 2015 Bericht zu dem Berichtsantrag des Abgeordneten Schaus (DIE LINKE.) und Fraktion betreffend ein- geschränkte Aussagegenehmigung für den ehemaligen V-Mann Benjamin G. sowie Auswahl und Bezahlung des wegen Bankrott-Beihilfe verurteilten ehemaligen Anwaltes von Holger Pf., Volker H., durch das Landesamt für Verfassungsschutz zum Münchener NSU-Prozess (Drucksache 19/1016) __________________________________________________________________________ Vorbemerkung der Antragsteller: Bei den Ermittlungen der Sonderkommissionen „Cafe“ und „Bosporus“, den Untersuchungen des NSU-Ausschusses des Deutschen Bundestages und beim Münchner NSU-Prozess spielten und spielen die Ungereimtheiten in den Aussagen des beim NSU-Mord in Kassel am Tatort anwesenden Verfassungsschützers Andreas T. und seine Verbindungen zu V-Leuten – zumal in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Tatzeit des Mordes am 6.4.2006 in Kassel – eine erhebliche Rolle. Im Münchener NSU-Prozess nahm die Befragung des Andreas T., seines neonazistischen V-Mannes Benjamin G. sowie Vernehmungen von Ermittlern und Vorgesetzten des Andreas T. einen breiten Raum ein. Die Nebenkläger bemerkten während der Befragung des V- Mannes Benjamin G., dass diesem vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz der Rechtsanwalt Volker H. als Zeugenbeistand angeraten wurde. Die Vernehmung von Benja- min G. entwickelte sich aus Sicht der Anwälte ausgesprochen unbefriedigend, da Benjamin G. eine eingeschränkte Aussagegenehmigung des Landesamtes für Verfassungsschutz hat- te und sein Beistand in Aussagen eingreifend diese Aussagegenehmigung sehr restriktiv interpretierte. Weil die Vernehmung Benjamin G.s aus Sicht der Nebenkläger damit erheblich beeinträchtigt wurde, weil Rechtsanwalt Volker H., „die Interessen des Landesamtes schützt“ und „dass das hessische LfV Verfahrenssteuerung betreibt“, stellten die Opfer-Anwälte einen Antrag zum Ausschluss des Rechtsanwaltes Volker H.s. Zum Hintergrund des Rechtsanwalts Volker H. ist zudem zu bemerken, dass dieser den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Holger Pf. in einem der spektakulärsten Waffen- und Schmiergeldprozesse der Bundesrepublik vertrat, an dessen Ende nicht nur Holger Pf. zu einer hohen Geldstrafe, sondern Anfang 2013 auch dessen Anwalt Volker H. wegen Beihilfe zum Bankrott zu 8 Monaten Haft auf Bewährung und 100.000 Euro Geldbuße verurteilt wurde. Der Berichtsantrag wird wie folgt beantwortet: Frage 1. Vertrauensmänner, die weder Beamte noch hauptamtlich mit festen Be- zügen angestellt sind, sind nur zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet, wenn eine wirksame förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungs- gesetz vorliegt. Lag bezüglich Benjamin G. eine wirksame förmliche Ver- pflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz vor und wann wurde diese er- stellt? Benjamin G. wurde erstmalig am 04. November 2003 durch das LfV verpflichtet. Frage 2. Im Abwägungsprozess der Dienstbehörde zur Erteilung einer Aussage- genehmigung müssen als Entscheidungskriterien nicht nur die von ihr wahrzunehmenden Aufgaben, sondern ebenso z.B. die Bedeutung der gerichtlichen Wahrheitsfindung für die Sicherung der Gerechtigkeit in den Blick genommen werden. Das Interesse, sich an gemachte Vertrau- lichkeitszusagen zu halten kann nur dann vorrangig sein, wenn die Ge- heimhaltung der Identität zum Schutz von Lebens und Leibesgefahren zugesichert wurde. a) Welches Interesse soll im Fall des Benjamin G. die hohe Bedeutung der gerichtlichen Wahrheitsfindung in Bezug auf die bundesweite Mord-, Bomben und Terrorserie des NSU überwogen haben, zumal Benjamin G. schon seit 2007 nicht mehr im Dienst des Verfassungs- schutzes stand, seine weitere Verwendung für den Verfassungs- schutz nicht in Frage kam, dessen Identität bekannt war und eine Ge- fährdung des Benjamin G. offenkundig nicht besteht? b) Durch wen und wie wurde die Entscheidung, lediglich eine be- schränkte Aussagegenehmigung zu erteilen, eine Interessenabwä- gung vorgenommen? c) Hält der Innenminister die getroffene Entscheidung für richtig, trotz erheblichen Aufklärungsinteresses der NSU-Terrorserie und vor dem Hintergrund des vom Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss fest- gestellten zentralen Problems beim NSU-Komplex des „Quellen- schutz vor Ermittlungen“, die Aussagegenehmigung des Benjamin G. im NSU-Prozess einzuschränken? d) Wenn ja, welchen gerichtsverwertbaren Beitrag können V-Leute zur Aufklärung schwerster Straftaten bzw. im NSU-Komplex dann leis- ten? Mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 hatte der Vorsitzende des 6. Senats des Oberlandes- gerichts München um Erteilen einer Aussagegenehmigung für Benjamin G. gebeten. Gegen- stand der Beweisaufnahme sollte sein, ob und gegebenenfalls inwieweit Benjamin G. von Andreas T. oder einem weiteren Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Informationen zu T.s Aufenthalt in dem Internet-Café von Halit Yozgat am 6. April 2006 hatte. Benjamin G. wurde demgemäß mit Aussagegenehmigung des LfV vom 8. November 2013 ausdrücklich die Genehmigung erteilt, im Verfahren vor dem Oberlandesgericht München zur Zusammenarbeit mit dem für ihn im April 2006 zuständigen Mitarbeiter auszusagen. Die Aussagegenehmigung war allein insoweit – vom Senat im Übrigen unbeanstandet – einge- schränkt, als dass Benjamin G. keine Angaben zur schutzbedürftigen Arbeitsweise des LfV oder dem Zusammenarbeitsverhältnis mit sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ma- chen durfte. Eine inhaltliche Einschränkung enthielt die Aussagegenehmigung nicht. Frage 3. Die Behörde, die eine Aussagegenehmigung versagt, hat ihre Entschei- dung in der Form zu begründen, dass dem Gericht die Überprüfung zu- mindest auf offensichtliche Fehler ermöglicht wird. a) Wie und durch wen wurde die Beschränkung der Aussagegenehmi- gung begründet? b) Kann die Beschränkung der Aussagegenehmigung samt Begründung dem Ausschuss zur Verfügung gestellt werden? Die Teilfragen a) und b) werden zusammen beantwortet: Die Aussagegenehmigung wurde nicht versagt (siehe Antwort zu Frage 2). Seitens des Oberlandesgerichts München gab es im Übrigen keinerlei Beanstandungen bezüglich der vorgelegten Aussagegenehmigung. Die Aussagegenehmigung kann (geschwärzt) zur Verfügung gestellt werden und ist als An- lage beigefügt. Frage 4. Bei Namenseingabe des Volker H. in Internet-Suchmasken verweisen zahlreiche Treffer darauf, dass dieser im Rahmen seines langjährigen Mandats für den verurteilten, ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Holger Pf. Anfang 2013 selbst wegen Beihilfe zu einer 8 monatigen Haftstrafe auf Bewährung sowie zur Zahlung von 100.000 Euro verurteilt wurde. Die Internet-Quellen verweisen zudem da- rauf, dass Rechtsanwalt H. seither zahlreiche namhafte Mandate öffentli- cher Einrichtungen und privater Unternehmen verloren hat. a) Wie, wann und durch wen wurde Rechtsanwalt Volker H. dem ehema- ligen V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Benjamin G. als Beistand vorgeschlagen und ausgewählt? b) Welche besonderen Kenntnisse qualifizierten Herrn Rechtsanwalt H. aus Sicht des Vorschlagenden zu diesem Mandat? c) War der Landesregierung die Verurteilung des Rechtsanwaltes Vol- ker H. bekannt, wenn ja seit wann und hält sie eine Empfehlung des Herrn Rechtsanwalt H. als Zeugenbeistand für Benjamin G. im NSU- Prozess vor diesem Hintergrund für eine gute Empfehlung? d) Wurde Benjamin G. bereits 2012 durch Rechtsanwalt Volker H. vertre- ten und von wem ging hierzu die Initiative aus? e) Treffen die Angaben des Benjamin G. im NSU-Verfahren zu, dass zwei Mitarbeiter des HLfV ihm die Vertretung durch Rechtsanwalt Volker H. empfahlen und er daraufhin Rechtsanwalt Volker H. traf? Die Teilfragen a) bis e) werden zusammen beantwortet: Die Entscheidung des LfV aus dem November 2011, es Benjamin G. frei von finanziellen Erwägungen zu ermöglichen, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen - im Übrigen ein Recht, das jedem Zeugen vor Gericht zusteht (§ 68b der Strafprozessordnung) -, erfolgte in Erfüllung der sich aus der Quellentätigkeit ergebenden Schutzpflichten (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1. des Grundgesetzes). Davon hat Benjamin G. Gebrauch gemacht. Zwei Beamte des LfV hatten hierzu am 23. April 2012 den Kontakt zwischen Benjamin G. und Rechtsanwalt Volker H. hergestellt. Rechtsanwalt Volker H. war Staatsanwalt in Koblenz und war in Rhein- land-Pfalz Ombudsmann für Korruptionsbekämpfung. Die Verurteilung Herrn Rechtsanwalts Volker H. war dem LfV nicht bekannt. f) Wurden durch das HLfV dem Rechtsanwalt Volker H. Informationen zu der bevorstehenden Vernehmungssituation erteilt? Informationen zu der bevorstehenden Vernehmungssituation wurden nicht gegeben. Benja- min G. sollte Sicherheit in der Einschätzung dessen gegeben werden, welche Fragen vom durch das Oberlandesgericht München formulierten Beweisthema umfasst und damit von ihm zu beantworten sind. Herrn Rechtsanwalt Volker H. wurden hierzu lediglich die Rah- menbedingungen erläutert (Benjamin G. als Zeuge im NSU-Verfahren). g) Zu welchen den NSU-Komplex betreffenden Dokumenten und Infor- mationen hatte Herr Rechtsanwalt Volker H. zur Vertretung des Ben- jamin G. Zugang und waren darunter auch Verschlusssachen? Herrn Rechtsanwalt Volker H. wurde eine Kopie der Aussagegenehmigung Benjamin G.s vom 8. November 2013, eine Kopie der Bitte des Oberlandesgerichts München zur Erteilung der Aussagegenehmigung vom 24. Oktober 2013 sowie Kopien von drei Gefährdungs- lagebewertungen des Landeskriminalamts zur Person Benjamin G. (VS-Nur für den Dienst- gebrauch) ausgehändigt. Das LfV hat Rechtsanwalt Volker H. keinen Zugang zu Sach- oder Verfahrensakten gewährt. Inwieweit eine Akteneinsicht beim Oberlandesgericht München erfolgte, ist dagegen nicht bekannt. h) Durch wen wurde die Vergütung des Rechtsanwalts Volker H. über- nommen, erfolgte eine Vergütung oder Kostenerstattung für Benja- min G. durch das Land Hessen und wenn ja, wie hoch war diese? Die Vergütung des Herrn Rechtsanwalts Volker H. wurde durch das LfV übernommen. Das Angebot der Bezahlung durch das LfV sollte es Benjamin G. ermöglichen, die Entscheidung zum Beiziehen eines Zeugenbeistands frei von finanziellen Erwägungen zu treffen. Benjamin G. hat keine Vergütung erhalten, es wurden lediglich Kosten in Höhe von 172,80 Euro übernommen (Tagungsgeld/Fahrkosten). i) Übernahm Herr Volker H. in der Vergangenheit Aufträge des HLfV oder des Landes Hessen, wenn ja welche und mit welcher Vergütung bzw. welche weiteren Empfehlungen des Rechtsanwaltes Volker H. erfolgten durch das HLfV oder Land Hessen? Die Landesregierung führt keine Statistik über die Beauftragung von Rechtsanwälten zur Prozessvertretung. Soweit bekannt hat der Rechtsanwalt Volker H. mit Ausnahme der Ver- tretung Benjamin G.s keine weiteren Aufträge des LfV oder des Landes Hessen erhalten. Frage 5. Ist es üblich, dass das HLfV ehemaligen oder aktiven V-Leuten (zumin- dest in diesem Fall mit äußerst beachtlichem Straftaten-Register) oder Rechtsanwälte für Gerichtsprozesse empfiehlt, ist es üblich, V-Leuten Anwaltskosten auszugleichen und wenn ja, in wie vielen Fällen und mit welchen Kosten seit dem Jahr 2000 (bitte getrennt aufschlüsseln). Die Frage der Empfehlung eines Rechtsbeistands ist stets eine Frage des Einzelfalls. Diese hängt ab vom Grund der Vernehmung sowie von Kriterien wie den intellektuellen Fähigkei- ten, Stressresistenz und weiteren Faktoren. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der Vernehmung Benjamin G.s bisher um einen Einzelfall. gez. Peter Beuth Staatsminister